Ursprünglich wurde zum 75. Jahrestag der Ermordung ausländischer Zwangsarbeiter am Rangierbahnhof Mannheim eine Gedenkveranstaltung in der Seckenheimer St.Aegidiuskirche mit anschließender Enthüllung eines Gedenksteines am Rangierbahnhof für den 28.3.2020 geplant.

GedenksteininschriftNamhafte Vertreter der Veranstalter, des Mannheimer Altertumvereins, des Marchivum Mannheim, des Heimatmuseums Seckenheim und der Stadt Mannheim, OB Dr. Kurz, sowie eine Delegation aus der Heimatstadt einiger französichen Opfer, Saint Dié, hatten schon zugesagt. Eine Ankündigung erfolge bereits in der Presse. Hier nachzulesen .

Leider musste die Veranstaltung auf Grund der inzwischen aufgetretenen Corona-Pandemie kurzfristig abgesagt und verschoben werden. Auch der neue Termin am 27.03.2021 musste verschoben werden.

Einen Einweihung in kleinem Kreis konnte im Mai 2021 erfolgen.
(Pressebericht der Seckenheim-Rheinau-Nachrichten )

Die Stadt Mannheim übernahm die Obhut für die Anlage. Die Übergabe erfolgte mit einer kleinen Feier vor Ort am 24.06.2021. (Hierzu ein Pressebericht aus den Seckenheim-Rheinau-Nachrichten )

Weitere Informationen zu den aktuellen Gedenkfeiern finden Sie in der digitalen Leseecke… und der Sonderseite zum Gedenkstein…


Zu den Hintergründen und Beweggründen für den Gedenkstein und die Veranstaltung gibt es zu berichten:

Zum Gedenken an die Ende März 1945 am Rangierbahnhof ermordeten ausländischen Fremd- und Zwangsarbeiter

Die Morde auf dem Seckenheimer Rangierbahnhof Ende März 1945 sind ein Endphaseverbrechen. Das ist ein in der Forschung etablierter Begriff. Dieses Verbrechen ist im Buch „Die Männer von Saint-Dié“, 2000, schon benannt worden durch französische und Seckenheimer Zeitzeugen. Seitdem war bekannt, dass der Franzose Henri Diebold auf dem Seckenheimer Rangierbahnhof erschossen worden ist. Von seiner Beerdigung hat sich die im diesem Buch abgedruckte Grabrede eines Kollegen erhalten.

Neue Recherchen von Liliane Jérôme aus Saint-Dié im für Frankreich zentralen Archiv von Caen (Archives des victimes des conflits contemporains) haben ein Dokument eines französischen Dolmetschers, der für Sunlicht gearbeitet hat, ans Licht gebracht. Er hat die Beerdigung von Henri Arthaud begleitet, eines weiteren dort ermordeten Franzosen, sowie die Lage seines Grabes beschrieben. Er gibt weiter die Zahl von insgesamt 18 Ermordeten an, darunter 6 Franzosen, die übrigen Osteuropäer, davon 4 Ermordete aus der Ukraine. Die Leichen lagen an zwei Stellen des Rangierbahnhofs. Lili Jérôme konnte mit Hilfe des Archivs in Caen noch zwei weitere Namen von Franzosen mit einigen ihrer Dokumente feststellen. Diese beiden waren keine Zwangsarbeiter, sondern „freie“ Vertragsarbeiter aus Paris.
Im Dezember 2019 veröffentlichte Mme Jérôme ihre Forschungsergebnisse unter dem Titel „Tod in der Fremde“ mit dem Co-Autor Dr. Koppenhöfer. Darin werden die Schicksale von weiteren 27 Franzosen geschildert, die zumeist in der Rhein-Neckar Region den Tod fanden.

Kurz vor dem Eintreffen der amerikanischen Truppen in Seckenheim, in der Karwoche 1945, kam es auf dem Rangierbahnnhof in Seckenheim zu Erschießungen polnischer, russischer, ukrainischer und französischer Zwangsarbeiter. Diese Geschehnisse können auf den Zeitraum vom 27.03 – 29.03. 1945 eingrenzt werden. Zu dieser Zeit standen an die tausend Güterwaggons dort auf den Gleisen, gefüllt mit Lebensmitteln wie Mehl, Zucker, Grieß, Nudeln und Wein, aber auch mit Brennmaterial wie Briketts und mit Waffen, vorwiegend alten Maschinengewehren.
Offiziell war das Plündern der Waggons bei Todesstrafe verboten, aber nach den übereinstimmenden Aussagen aller Zeitzeugen wurde es geduldet, sofern die Plünderer deutsche Staatsbürger waren. Die Leute zogen meist im Schutz der Dunkelheit mit Leiterwagen zum Bahnhof, einige nahmen ihre ausländischen Zwangsarbeiter mit oder schickten diese allein dorthin. Manche der gestohlenen Mehlsäcke platzten auf, so dass vom Güterbahnhof bis zum Seckenheimer Wasserturm eine weiße Mehlspur zu sehen war. Die hungerleidende Seckenheimer/Pfingstberger/Rheinauer Bevölkerung bediente sich reichlich, die Plünderungsaktionen waren stadtbekannt.
Zur Bewachung der Züge waren Männer der Feldpolizei abgestellt, im Volksmund „Kettenhunde“ genannt, kenntlich gemacht durch  silberfarbene Plaketten an der Uniform. Diese sprachen die Plünderer auf ihre Staatsangehörigkeit an, und wenn sie an der Sprache erkannten, dass es sich um Nichtdeutsche handelte, wurden sie festgenommen und in einen Schuppen eingesperrt oder sofort erschossen.

Von den einheimischen Zeitzeugen hat keiner die Erschießungen selbst miterlebt, sie berichten aber von Leichen (in unterschiedlicher Anzahl), die sie selbst dort liegen sahen und die wohl mehrere Tage dort liegen blieben. Erst 2020 meldete sich Herr E. Schmitt für ein Zeitzeugeninterview im Heimatmuseum, er hatte  durch einen Beitrag im Hörfunk von dem geplanten Gedenkstein erfahren und musste als Jugendlicher die Erschießungen vor Ort miterleben. Die meisten Opfer wurden wohl auf der Rheinauer Seite der Eisenbahnbrücke auf einem Hügel beerdigt. Mehrere Zeitzeugen berichten von einem Kreuz auf der Pfingstberger Sanddüne das bis zum Neubau der Kloppenheimer Brücke 1977 sichtbar gewesen sein soll.
Ein Franzose (Henri Diebold) wird auf dem Friedhof in Rheinau beigesetzt. Dieser wurde später in seine Heimatstadt St. Die überführt.
Am 30.3.1945 (Karfreitag) befreiten die amerikanischen Truppen Seckenheim. Die Täter, die die Erschießungen zu verantworten hatten, kamen in den Nachkriegswirren sehr wahrscheinlich unbehelligt davon.

Zitat des Zeitzeugen E. Volz – Seckenheim:

„Als die Bahn geplündert worden ist, 1945,[…] paar Tage bevor die Amis gekommen sind. Da war ja ganz Seckenheim da draußen. Da hat es alles gegeben. Weinfässer, Kartoffel, Frucht, alles – Briketts – Und wenn man über die Brücke gekommen ist, links waren 4/5 Waggons gestanden mit Maschinengewehren drin, aber lauter alte. Nix Neues. Die Militärpolizei mit den Schildern – vor denen haben wir immer Angst gehabt – die hatten so silberne Schilder gehabt, Maschinenpistolen über der Schulter – die hatten kein Gewehr – das war deutsche Militärpolizei. Und da waren die da und haben sie halt zufällig erwischt in den Wagen, wie die rumgewühlt haben […], da waren 6 oder 7 [Tote] nebeneinander gelegen.
Direkt dabei war ich nicht. Erst am anderen Tag sind wir noch einmal raus und die waren ein paar Tage da gelegen. Da unten neben der Brücke, die sind dann zugedeckt worden…“

Zitat des Zeitzeugen E. Schmitt – Seckenheim

Da haben wir mitgekriegt, dass man da Sachen […am Rangierbahnhof…] holen kann. … da haben sie Schuhe gehabt, Zucker, Mehl.
Und am nächsten Tag sind wir dann dahin mit so einem Leiterwägelchen und an dem Tag ist da noch nichts passiert. Und da war dann ein 2 Zentner Mehlsack. Und wir waren ja so Hänflinge und meine zwei Schwestern und mein jüngerer Bruder und da haben wir den 2 Zentnersack den Damm hochgerollt. Wahrscheinlich haben uns dann ältere Leute geholfen, den Sack in unseren Leiterwägelchen zu hieven. Ja das war der 1. Tag und der 2. Tag, da sind wir auch wieder los. Und da waren Pferdefuhrwerke auf der Brücke…die „Sträflinge“ hatten ja den Bauern gedient und haben halt da auch geplündert. Und auf einmal kommen auf der Brücke Soldaten, deutsche Soldaten, wahrscheinlich die SS oder Gestapo. Und dann war da ein Jeep und der hat einen Lautsprecher gehabt. Der war laut und deutlich. Und dann hat‘s geheißen: „Alles auf die Brücke“. Und dann sind die ganzen Leute auf die Brücke.
Die „Sträflinge“ haben das geahnt, jetzt passiert‘s. Ich weiß aber jetzt nicht mehr, was für Schusswaffen die hatten. Man konnte dann von der Brücke beobachten, wie… die Gefangenen durch die Waggons sind und sind dann vor die Flinte gelaufen.
Das hat geschallt, unglaublich … und dann haben sie diese […Zwangsarbeiter] erschossen. Da war so ein freier Platz, da haben sie sie so nebeneinander hingelegt. Ja, das ging alles ganz schnell und da war einer , der hat sich unter das Rad gekauert. Der vom Lautsprecher hat das gesehen und hat einen Soldaten hin dirigiert und dann ein Schuss. Die Zahlen wusste ich auch nicht , so 13, das müssen die Helfer von den Bauern gewesen sein. Sie haben sie also erschossen und schnell wieder abtransportiert. Und dann konnten wir wieder runter und uns halt bedienen, was es da alles gegeben hat.

Frage: Am gleichen Tag noch seid Ihr da runter, war das helllichter Tag?
E.S: Die sind erst abgezogen. Die Militärfahrzeuge sind dann von der Brücke runter. Wie gesagt, das ging alles ganz schnell, …vielleicht eine halbe Stunde gedauert und dann weg.

Frage: Die Seckenheimer sind dann nicht weggejagt worden; die sind dabei gestanden?
E.S: Nein, das waren nur die Ausländer und die sind dann erschossen worden. Die auf der Brücke , die Leute haben geschrien wie wahnsinnig, aufhören, aufhören. Aber die haben sich nicht vertreiben lassen.”

Interviewte Zeitzeugen:
Theo Schmitt, Jahrgang 1931, Hans Schmitt, Jg. 1927, Erich Karl, Jg. 1930, Edgar Volz, Jg.1932, Hans Hennesthal, Jg. 1934,
Emil Schmitt Jg. 1933

Quellen: 

  • Zusammenfassung Texte Dr. P. Koppenhöfer 2019
  • Zeitzeugenbefragungen im Heimatmuseum Seckenheim 2019/2020,
    Bearbeitet: L. Blümmel
  • Die Männer von Saint Dié, Herbolzheim 2000
  • Tod in der Fremde. L. Jérôme 2019
  • Seckenheimer Blätter Heft 4, Seckenheim 2004 
    Hier in neuem Fenster öffnen
  • Les hommes de Saint Dié 2002
    Zeitzeuge H.Hennesthal S.259
    Seite in neuem Fenster öffnen

WiS 03 – 2020

Einige Impressionen der Entstehung und beim Aufstellen:


(Fotos: Heimatmuseum)